HÖRST
Glossar
V
Die valide Hörschwellenbestimmung erfasst zuverlässig die minimal wahrnehmbaren Schalldruckpegel eines Hörprobanden bei definierten Frequenzen. Sie verlangt standardisierte Testbedingungen (ruhiges Kabine, kalibrierte Audiometer) und klare Instruktionen an den Patienten. Validität wird erhöht, indem Test‑Re-Test‑Konsistenz und klinische Plausibilität geprüft werden, etwa durch Cross‑Checks mit Otoakustischen Emissionen. Psychometrische Methoden wie Catch‑Trials können psychogene Antwortmuster aufdecken. Nur valide Schwellenwerte bilden eine belastbare Grundlage für Diagnostik und Hörgeräteanpassung.
Validierungsaudiometrie umfasst objektive und subjektive Testverfahren, die die Übereinstimmung zwischen gemessenen Audiogrammen und Alltagserfahrungen prüfen. Sie kombiniert Standard‑Audiometrie mit Sprachaudiometrie, OAE‑Screening und Selbstbeurteilungsfragebögen (z. B. APHAB). Ziel ist, Versorgungserfolge und Anpassqualität zu verifizieren sowie Diskrepanzen aufzudecken. Adaptive Testsätze simulieren realistische Hörsituationen, um Praxistauglichkeit der Ergebnisse zu sichern. Ergebnisse fließen in die Nachjustierung von Hörsystemparametern und in die Dokumentation von Versorgungsgütemaßnahmen ein.
Der Vanish‑Effekt beschreibt das vorübergehende Verschwinden oder Abschwächen des Tinnitus beim Einspielen eines bestimmten Klangsignals, oft unmittelbar nach Stimulusende. Dieses Phänomen weist auf kortikale Reorganisation und zentrale Hemmungspfade hin, die das Tinnitusgenerator-Netzwerk modulieren. Es wird in Studien genutzt, um wirksame Masker‑Profile zu identifizieren und neuronale Plastizität zu untersuchen. Klinisch kann der Vanish‑Effekt Hinweis auf geeignete Klangtherapie‑Parameter geben. Langfristige Anwendung der identifizierten Reize kann zur dauerhaften Habituation beitragen.
Ein variabler Filter passt seine Mittenfrequenz, Bandbreite und Flankensteilheit dynamisch an wechselnde akustische Umgebungen an. In Hörgeräten ermöglicht er, Sprachanteile in Lärmsituationen hervorzuheben und Störgeräusche zu reduzieren. Algorithmen analysieren kontinuierlich Eingangssignal und passen Filter in Echtzeit, um Kompromisse zwischen Sprachverständlichkeit und Klangnatürlichkeit zu optimieren. Adaptive Filter können auch Feedback‑Spitzen erkennen und Gegenmaßnahmen einleiten. Durch Machine‑Learning‑Ansätze lernen moderne Systeme Nutzerpräferenzen, um Filterstrategien zu individualisieren.
Die Verarbeitung im Gehirn bezieht sich auf die zentrale Analyse, Integration und Interpretation von auditorischen Signalen nach der peripheren Transduktion. Sie umfasst Pfade im Hirnstamm, Thalamus und primären sowie sekundären auditorischen Kortexarealen. Hier werden Zeit- und Pegeldifferenzen, Sprachmuster und musikspezifische Informationen extrahiert und mit Gedächtnisinhalten verknüpft. Plastizität ermöglicht Anpassung an Hörverlust oder Hörsysteme durch Umorganisation neuronaler Netzwerke. Störungen auf dieser Ebene führen zu zentral-auditorischen Verarbeitungsstörungen und erfordern gezielte Therapien.
Der Verdeckungseffekt beschreibt die Unterdrückung von leisen Tönen durch gleichzeitig präsentes lautes Rauschen oder Tone. Er ist psychoakustisch essentiell für Maskierungsphänomene und bestimmt, welche Töne in komplexen Klanggemischen hörbar bleiben. In der Audiometrie verhindert gezielte Maskierung Cross‑Hearing und isoliert das zu testende Ohr. In Hörgeräten nutzt man kontrollierte Masker, um Tinnitus zu überdecken oder störende Frequenzen abzudämpfen. Maskierungsmuster werden individuell bestimmt, um optimale Balance zwischen Signal‑Erhalt und Störschall‑Unterdrückung zu erreichen.
Verknöcherung beschreibt pathologische Knochenumbildungen im Mittelohr, meist charakteristisch bei Otosklerose, die zu einer Fixierung der Knöchelchenkette führen. Der Steigbügelfuß ist besonders häufig betroffen, wodurch Schallleitung stark vermindert wird. Im Audiogramm zeigt sich eine prototypische Luft‑Knochen‑Schwellen‑Spreizung. Therapeutisch wird die Verknöcherung durch Stapedotomie korrigiert, wobei der verknöcherte Steigbügel umgangen und durch Prothese ersetzt wird. Langzeitkontrollen bestätigen Stabilität der Rekonstruktion und Hörgewinn.
Eine Verstärkerschaltung in Hörgeräten besteht aus Vorverstärker, Signalprozessor und Ausgangsstufe, die schwache Mikrofon‑Signale auf Hörbar-Niveau verstärkt. Digitale Verstärkerschaltungen erlauben Mehrbandkompression, Feedback‑Management und adaptive Filterung. Die Linearität und Ausgangsleistung bestimmen Klangtreue und maximale Lautstärke. Rauschabstand und Klirrfaktor sind kritische Kennwerte für die Verstärkerqualität. Moderne ASICs integrieren Verstärker und DSP in kleinen Bauformen mit geringem Energieverbrauch.
Verstärkung beschreibt die Erhöhung des Schalldruckpegels eines Eingangssignals, um es für das Restgehör hörbar zu machen. In Hörsystemen erfolgt sie frequenzabhängig passend zu den Hörverlustprofilen in einem Audiogramm. Kompressionsalgorithmen sorgen dafür, dass laute Signale nicht überkomprimiert und leise Signale angemessen verstärkt werden. Verstärkung kann linear (gleicher Faktor) oder nichtlinear (dynamische Anpassung) erfolgen. Ziel ist maximale Sprachverständlichkeit bei subjektiv natürlichem Klang.
Der Vestibularapparat umfasst Sacculus, Utriculus und drei Bogengänge im Innenohr und registriert Beschleunigungen sowie Kopfbewegungen. Er sendet Signale über den vestibulären Anteil des VIII. Hirnnervs an Hirnstamm und Kleinhirn, um Gleichgewicht und Augenreflexe zu steuern. Funktionsstörungen führen zu Schwindel, Nystagmus und Gleichgewichtsstörungen. Diagnostische Verfahren sind Kalorik, VEMP und Video‑Nystagmographie. Vestibularrehabilitation trainiert zentrale Kompensation und stabilisiert Gang‑ und Standkontrolle.
Vestibulärer Schwindel ist ein Dreh- oder Kippgefühl, das von Störungen des vestibulären Systems im Innenohr oder seinen zentralen Verbindungen ausgeht. Ursachen können Neuritis vestibularis, Menière‑Krankheit oder vestibuläres Migräneäquivalent sein. Begleitsymptome sind Übelkeit, Nystagmus und Gleichgewichtsstörungen. Die Diagnostik umfasst Kalorik, VEMP und Video‑Nystagmographie, um periphere von zentralen Ursachen zu unterscheiden. Therapeutisch werden Kortikosteroide, Vestibularrehabilitation und in rezidivierenden Fällen intratympanische Gentamicin‑Therapie eingesetzt.
Das vestibuläre System besteht aus den Otolithenorganen (Sacculus, Utriculus) und den drei Bogengängen, die lineare und rotatorische Beschleunigungen registrieren. Es sendet Informationen über Kopfbewegungen und -lage an Hirnstamm, Kleinhirn und somatosensorische Kortizes, um Gleichgewicht und Raumorientierung zu steuern. Reflexe wie der vestibulookuläre Reflex sorgen für stabile Blickhaltung bei Kopfbewegung. Störungen führen zu Schwindel, Gangunsicherheit und Übelkeit. Rehabilitation fördert zentrale Kompensation durch Übungsprogramme und Neurofeedback.
Der vestibulookuläre Reflex (VOR) stabilisiert das Bild auf der Netzhaut, indem Augenbewegungen entgegengesetzt zu Kopfbewegungen gesteuert werden. Er hat eine sehr kurze Latenz (<10 ms) und wird über direkte Verbindungen zwischen vestibulären Kernen und okulomotorischen Neuronen realisiert. Ein intakter VOR ist essenziell für klare Sicht beim Gehen oder Laufen. Pathologische VOR‑Parameter (Gain, Phase) werden in der Video‑Head‑Impulse‑Test (vHIT) gemessen. Therapie bei VOR‑Schwäche umfasst gezieltes Blick‑Stabilisationstraining.
Vibrationsempfinden ist die Wahrnehmung mechanischer Schwingungen, vermittelt über Pacini‑ und Meissner‑Körperchen in Haut und tieferliegenden Geweben. Am Ohr wird Vibrationsempfinden bei Knochenleitungsaudiometrie genutzt, indem ein Schallwandler Vibrationen am Mastoid erzeugt. Die Schwelle liegt typischerweise bei 0,2–0,5 g bei 250–500 Hz. Veränderungen im Vibrationsempfinden können auf neuropathische oder vestibuläre Störungen hinweisen. Vibrationsmessungen unterstützen Diagnostik von Knochenleitungspfaden und taktilem Feedback in Hörsystemen.
Vibrationsleitung (Knochenleitung) überträgt Schall, indem Vibrationen des Schädels direkt die Cochlea anregen, ohne Trommelfellbeteiligung. Sie wird audiometrisch geprüft, um Schallleitungs- von Schallempfindungsstörungen zu unterscheiden. Implantierbare Knochenleitungsgeräte (BAHS, Bonebridge) nutzen Vibrationsleitung zur Versorgung bei Mittelohrpathologien. Die Effizienz hängt von Vibrationsort und -frequenz ab; Mastoidimplantate bieten besseren Tiefbass. Vibrationsleitung spielt auch in der somatosensorischen Interaktion des vestibulären Systems eine Rolle.
Eine Vibrationsplatte erzeugt niederfrequente Ganzkörpervibrationen zur Rehabilitation vestibulärer und muskuloskelettaler Funktionen. In der Hörrehabilitation wird sie experimentell eingesetzt, um vestibuläre Stimulation mit auditivem Training zu koppeln. Vibrationsparameter (Frequenz, Amplitude) werden so gewählt, dass sie das Gleichgewichtssystem aktivieren, ohne Übelkeit auszulösen. Studien zeigen verbesserte VOR‑Gain und Gangstabilität nach kombiniertem Vibration‑Vestibulartraining. Einsatz ist noch klinisch in Erprobung, verspricht aber multisensorische Therapieeffekte.
Eine virtuelle akustische Umgebung (Virtual Acoustic Environment, VAE) simuliert realistische 3D-Schallfelder über Kopfhörer oder Lautsprechersysteme mittels HRTF‑basiertem Rendering. Sie wird in Hörforschung und -training eingesetzt, um komplexe Alltagssituationen (Restaurant, Straße) gefahrlos darzustellen. VAEs erlauben kontrollierte Manipulation von Störgeräuschen, Schallquellenbewegung und Reverberation. In der Hörgeräteentwicklung testet man adaptive Algorithmen unter realistischen Bedingungen. Nutzer profitieren von individualisierten Simulationen zur gezielten Rehabilitation.
Visuelle Verstärkung beschreibt die Unterstützung des Hörens durch visuelle Informationen, etwa Lippenlesen, Gestik oder Textuntertitel. Multisensorische Integration im superioren temporalen Sulcus verbessert Sprachverständnis in Lärmsituationen. Augmented‑Reality‑Systeme projizieren Echtzeit-Transkriptionen ins Sichtfeld, um visuelle Verstärkung zu optimieren. Neuroplastizität fördert neuronale Verschaltung zwischen visuellen und auditorischen Arealen bei Hörverlust. Training kombiniert auditive und visuelle Reize, um crossmodale Kompensation zu stärken.
Das Voicing Feature unterscheidet stimmhafte (z. B. /b/, /d/) von stimmlosen Konsonanten (z. B. /p/, /t/) anhand der Stimmlippenvibration. Stimmhafte Laute zeigen eine grundlegende Frequenz im Spektrum (Fundamental), während stimmlose hauptsächlich turbulentem Rauschen entsprechen. In der Sprachaudiometrie prüft man Voicing-Erkennung, um Hochtonverluste und Zeitauflösungsprobleme zu diagnostizieren. Hörgeräteprogramme betonen Voicing-relevante Frequenzbänder, um Artikulationsminus zu kompensieren. Fehlwahrnehmung von Voicing führt zu Sprachverständnisfehlern, insbesondere in lauten Umgebungen.
Der Vokaltrakt umfasst Rachen, Mundhöhle und Nasenraum, die als variable Resonatoren die Sprachlaute formen. Veränderungen in Form und Länge des Vokaltrakts erzeugen unterschiedliche Formanten, die Vokale charakterisieren. Akustische Modelle des Vokaltrakts werden in Hörforschung und Sprachsynthese eingesetzt. Resonanzverschiebungen durch Hörgeräte-Otoplastiken können Vokalformanten minimal verändern. Logopädisches Training berücksichtigt Vokaltraktmechanik, um Artikulation bei Hörverlust gezielt zu fördern.